Sporttauglichkeits-Untersuchungen sind sinnvoll

SaarSport-Magazin, Breitensport

Die Bilder sind noch immer präsent: Der dänische Fußballspieler Christian Eriksen brach im Juni 2021 bei der Europameisterschaft während des Gruppenspiels gegen Finnland plötzlich zusammen. Die Diagnose: Herzstillstand. Der damals 29-jährige Topathlet musste noch auf dem Spielfeld wiederbelebt werden. Kein Einzelfall: Trotz regelmäßiger Untersuchungen zur Sporttauglichkeit brechen immer wieder junge Spitzensportler scheinbar grundlos zusammen. Wir sprachen mit Prof. Dr. Tim Meyer, Ärztlicher Direktor des Instituts für Sport- und Präventivmedizin der Saar-Uni und seit 2001 Mannschaftsarzt der deutschen Fußball-Nationalmannschaft, über die Sporttauglichkeitsuntersuchung.

Herr Prof. Dr. Meyer, das Institut für Sport- und Präventivmedizin der Universität des Saarlandes bietet Gesundheitsuntersuchungen für alle Athleten des Olympiastützpunktes Rheinland-Pfalz/Saarland und für Sportvereine und Einzelsportler aller Art an. Auf Wunsch können sie auch mit leistungsdiagnostischen Inhalten ergänzt werden, aber die ärztliche Beurteilung der Sporttauglichkeit gehört immer dazu. Wie ist eine solche Sporttauglichkeitsuntersuchung gestaltet?

Prof. Dr. Tim Meyer: Die Sporttauglichkeitsuntersuchung im klassischen Sinne ist eine Untersuchung nach einem standardisierten Programm, bei der die Sportler der im DOSB organisierten Sportarten einmal im Jahr zu uns kommen. Noch häufiger ergibt es keinen Sinn. Wenn die Sportler Beschwerden, insbesondere durch Belastung ausgelöste, entwickeln, das ist etwas anderes. Dann sollten sie immer einen Arzt konsultieren. Aber ohne derartige Probleme reicht es aus, sich der Sporttauglichkeitsuntersuchung einmal zu unterziehen. Auf internationaler Ebene geht die Diskussion sogar in die Richtung, noch seltener oder weniger umfangreich zu untersuchen. Die Untersuchung ist zwar nicht Pflicht. Wer für den DOSB jedoch an Olympischen Spielen oder anderen internationalen Wettbewerben teilnehmen möchte, muss die Untersuchung innerhalb von zwölf Monaten vorher nachweisen. Aktuell haben rund 10.000 Sportlerinnen und Sportler Zugang zu der Untersuchung. Hiervon nehmen etwa 5.000 die Termine wahr. Die Untersuchungen sind bundesweit standardisiert. Zunächst wird die Krankengeschichte erhoben, es folgt eine umfangreiche körperliche Untersuchung. Dann werden Blut und Urin nach definierten Parametern untersucht, ein Ruhe-EKG sowie ein Belastungs-EKG geschrieben. Alle zwei Jahre machen wir einen Ultraschall vom Herz. Es sei denn, es gäbe irgendwelche Auffälligkeiten, dann würden wir das Herz auf diese Weise auch jährlich untersuchen.

Welche Ärzte führen diese Untersuchung durch und wer trägt die Kosten?

Prof. Dr. Meyer: Bei den Bundeskaderathleten, quasi Mitgliedern der Nationalmannschaften, laufen die Kosten über das Bundesinnenministerium. Für die Untersuchungen stehen deutschlandweit 25 lizenzierte Untersuchungszentren bereit. Unser Institut zählt auch dazu. Nur in diesen Zentren können die Athleten sich dann einmal im Jahr untersuchen lassen. Alle anderen Sportler im Freizeit- und Breitensport können im Prinzip jeden Arzt konsultieren. Es wäre natürlich wünschenswert, wenn dieser Kollege eine Idee von Sportmedizin hat, damit er weiß, worauf er sein Augenmerk bei der Untersuchung legen muss. Es können von Sportart zu Sportart sehr spezielle Problemstellungen entstehen, die man kennen muss. Außerdem sollte der Arzt über aktuelle Erkenntnisse zum Beispiel zu Effekten von Ausdauertraining auf das EKG und zu sportlertypischen Befunden bei einer Ultraschall-Untersuchung auf dem Laufenden sein. Wenn man hier etwas falsch deutet, kann es schnell zu Überinterpretationen führen und zum Nachteil des Sportlers ausfallen. Deswegen ist es schon empfehlenswert, einen Arzt zu konsultieren, der sich in die sportmedizinische Thematik hineindenkt und die aktuelle Literatur verfolgt. Das kann man aber sicherlich nicht von jedem niedergelassenen Kollegen erwarten.

Für welche Sportlerinnen und Sportler ist die Sporttauglichkeitsuntersuchung vor allem gedacht?

Prof. Dr. Meyer: Bei Sportlern unterhalb des Nationalmannschaftsstatus hängt die Sporttauglichkeitsuntersuchung von den Regeln in den Ländern ab. Das Saarland hat sogenannte Landeskader, für die der LSVS die Kosten trägt. Das wird von Jahr zu Jahr neu entschieden. Meistens haben wir an unserem Institut um die 100 bis 110 Untersuchungen im Jahr. Dann stellt sich natürlich auch die Frage, auf welche Sportarten die Termine verteilt werden. Das entscheidet der LSVS und teilt jeder Sportart eine Quote zu. Die Sportart kann jedoch im Prinzip aus eigenem Antrieb entscheiden, weitere Untersuchungen zu finanzieren, wenn die Zahl der talentierten Athleten die zugeteilte Quote übersteigt. Aber das ist aufgrund der Finanzlage natürlich nicht immer möglich.


Empfiehlt sich die Untersuchung auch für den Breitensport?

Prof. Dr. Meyer: Ein Blick in die Statistik spricht dafür. In der öffentlichen Wahrnehmung stehen in der Regel die plötzlichen Todesfälle der Top-Athleten im Mittelpunkt und werden durch die Medien bekannt gemacht. Schaut man sich die Zahlen jedoch genauer an, dann beobachten wir – nicht ganz unerwartet – im Breiten- und Freizeitsport die meisten Ereignisse. Genau genommen müsste man auf dieser sportlichen Ebene mehr untersuchen. Aber dann reden wir nicht von ein paar Tausend, sondern von Millionen Untersuchungen und landen unmittelbar bei der Finanzierungsfrage. Die Kassen tragen das aktuell nicht. Es gibt ein paar Kassen, die bei Eigenbeteiligung einen Zuschuss geben.

Was sind die Ursachen von plötzlichen Todesfällen bei jüngeren Sportlern?

Prof. Dr. Meyer: Wir führen hier im Institut sowohl das weltweite Register für Todesfälle im Fußball als auch das nationale Register für Todesfälle in allen Sportarten. Daher haben wir zwar einen guten Überblick über die Vorfälle, allerdings nur über die uns gemeldeten. In Deutschland und auch in nahezu allen anderen Ländern gibt es keine Meldepflicht sportassoziierter Todesfälle. Erkrankungen, die zu den Todesfällen führen, sind fast nur Herzerkrankungen. Dabei differieren sie je nach Alter. Bei den jüngeren Sportlern kann man neben der bereits genannten vorzeitigen Herzkranzgefäßverkalkung vier Gruppen von Herzerkrankungen unterscheiden. Das bekannteste Beispiel sind sicherlich die Kardiomyopathien, die Herzmuskelerkrankungen. Die sind meistens durch Veranlagung hervorgerufen und entwickeln sich über Jahre. Es gibt verschiedene Beispiele bekannter Sportler mit hypertropher Kardiomyopathie, also einer krankhaften Verdickung der Herzwände ohne äußere Ursache wie z. B. Bluthochdruck. Besonders häufig ist diese Erkrankung bei Herkunft aus dem westlichen Afrika. Von den Kardiomyopathien gibt es verschiedene Typen, wobei einige schon früh die Belastbarkeit einschränken und deswegen bei Sportlern seltener ein diagnostisches Problem darstellen. Die allermeisten Kardiomyopathien wird man mit EKG oder Ultraschall erkennen. Ein Problem kann gelegentlich die Abgrenzung gegenüber einem – nicht krankhaften – Sportherz darstellen. Als Nächstes haben wir sogenannte Koronaranomalien, also vom Standard abweichend verlaufende Herzkranzgefäße. Normalerweise laufen diese Gefäße nebeneinander her, aber es gibt auch andere Muster, von denen die allermeisten harmlos sind. Allerdings kommt es vor, dass die Herzkranzgefäße zu dicht an größeren Arterien oder durch einen kleinen Herzmuskeltunnel verlaufen, so dass sie in bestimmten Herzphasen abgedrückt werden. Das kann zu einem kurzfristigen Durchblutungsproblem führen. Das führt nicht immer zu Beschwerden; gelegentlich werden sie vom Sportler ignoriert oder nicht bedrohlich interpretiert. Deswegen müssen wir gezielt fragen. Eine weitere Ursache sind sogenannte „elektrische Herzerkrankungen“, auch Ionenkanalerkrankungen genannt. Der normale regelmäßige Herzschlag basiert auf einer elektrischen Leitung im Herzen. Erst wird von einem Taktgeber das Signal ausgelöst, dann kontrahieren die Vorhöfe, dann die Herzkammer. Das Ganze läuft in einem geregelten Rhythmus ab. Auch hier gibt es angeborene Störungen dieser Leitung, die zu bösartigen Rhythmusstörungen führen können und Todesfälle auslösen. Schließlich gibt es noch Herzmuskelentzündungen, Myokarditiden. Sie sind in unserer nationalen Datenbank knapp die häufigste Ursache und in der Regel auf einen Befall des Herzmuskels durch ein Virus zurückzuführen. Allerdings wird man in der typischen Screeningsituation nur selten eine Myokarditis finden. Denn sie stellt sich ja erst nach einer Infektion ein. Daraus resultiert die Empfehlung, das Training bei Erkältung, Grippe und anderen Infekten konsequent auszusetzen. Manche dieser Erkrankungen sind tückisch, zum Glück aber auch selten. Das Ruhe-EKG hat sich in den letzten Jahren als sehr brauchbares Screening-Instrument herausgestellt, wenn man sportbedingte Veränderungen sicher erkennt und von krankhaften unterscheidet. Natürlich fragt man sehr gründlich nach verdächtigen Symptomen. Besondere Warnsignale sind während des Sporttreibens auftretendes Herzstolpern, Herzrasen oder Beschwerden der Atmung, insbesondere jedoch unerklärte Bewusstlosigkeiten. Diese sind bei einer Sporttauglichkeitsuntersuchung das größte Warnsignal. Das Gute daran ist, dass man sich an eine Bewusstlosigkeit meistens erinnert. Die Fragen laufen deswegen selten ins Leere. Unser Augenmerk liegt also auf diesen genannten Erkrankungen und verdächtigen Beschwerden in einer unterschiedlichen Altersgewichtung. Danach suchen wir.

Sollte der Breitensportler, der mehr als einmal die Woche intensiv trainiert, regelmäßig zur Sporttauglichkeitsuntersuchung?

Prof. Dr. Meyer: Ich würde da eine Unterscheidung nach Alter und Beschwerden machen. Die 25-jährige beschwerdefreie Studentin muss sich noch nicht untersuchen lassen. Aber ab einem Alter von 40 Jahren sollte man schon regelmäßig zum sportmedizinischen Gesundheitscheck und natürlich immer bei belastungsabhängigen Beschwerden sofort. Im Fußball, beim Marathon oder auch beim Turnen sind viele auch noch jenseits der 40 aktiv. Hier empfiehlt sich eine regelmäßige Untersuchung. Schließlich ist auch an bekannte Vorerkrankungen zu denken, die das Risiko erhöhen können. Insofern kann eine Empfehlung nur differenziert gegeben werden.

Was ist vor dem Hintergrund der Pandemie und einer durchlebten Corona-Infektion bei der Sporttauglichkeitsuntersuchung zu beachten?

Prof. Dr. Meyer: Jetzt haben wir auch viele Tauglichkeitsuntersuchungen nach durchgemachter Corona-Infektion. Meistens sind diese mit wenig Symptomen oder gar beschwerdefrei verlaufen. Viele Sportler sind dennoch stark verunsichert. Wenn wir einen beschwerdefreien Sportler ohne spezifischen Bezug zur Pandemie untersuchen, dann suchen wir im Prinzip nach allen möglichen Erkrankungen, während unser Augenmerk jetzt nach durchgemachter Corona-Infektion am ehesten auf einer Schädigung von Herz oder Lunge liegt, insbesondere einer Herzmuskelentzündung. Der richtige Zeitpunkt für einen Wiedereinstieg in das Training ist dabei wichtig. Das Vorgehen bei der Untersuchung ist davon abhängig, wie schwerwiegend die Beschwerden des betroffenen Sportlers waren. Dazu sind gerade aktuelle Empfehlungen in den USA und auch in Deutschland erschienen. Eine Covid-Erkrankung ohne Symptome, quasi als Zufallsbefund bei regelmäßiger Testung, haben wir im Moment gar nicht so selten. Die Sportler sollten natürlich ihre Isolation abwarten und dann langsam wieder ins Training einsteigen. Wenn das gut klappt, ist keine Untersuchung erforderlich. War man mit einer Covid-Erkrankung im Krankenhaus oder hat man Fieber entwickelt, langwierige Beschwerden oder gar eine Lungenentzündung, dann sollte man sich auf jeden Fall vor Trainingsaufnahme untersuchen lassen. Und dann haben wir natürlich noch diese Grauzone dazwischen mit einfachen Symptomen wie bei einer Erkältung. Diesen Infektionsgrad sollte man auch wie eine normale Erkältung behandeln. Es gibt im Moment keinen Hinweis darauf, dass der Omikron-Erreger aggressiver gegenüber unserem Herz ist als andere Viren vor der Pandemie. Hier gilt auch, was wir bei einer normalen Erkältung empfehlen: Solange man Beschwerden hat, keinen Sport treiben und dann langsam wieder einsteigen. Das kann man für Freizeit- und Breitensportler so empfehlen. In diesem Bereich kommt es auf einen Tag früher oder später nicht an. Nach Ende der Symptome mindestens drei Tage, im Zweifel lieber eine Woche warten. Beim Berufssportler sieht das natürlich anders aus. Das Einkommen und andere Aspekte hängen davon ab. Hier wird man sicherlich differenzierter hinschauen müssen. Grundsätzlich sollten sich aus meiner Sicht Berufssportler nach einer Covid-Erkrankung bei einem Mediziner vorstellen. Wie ausführlich das Untersuchungsprogramm sein muss, darüber muss man dann reden, und das hängt auch hier vom Verlauf ab. Aber ich würde eine sportmedizinische Konsultation schon nahelegen. Womit wir jetzt im Pandemiegeschehen konfrontiert werden, das unterscheidet sich in vielen Bereichen überhaupt nicht von der Situation, die wir vor der Pandemie hatten. Sportler sind auch früher schon mit Infektionssymptomen wie Halsschmerzen, Schnupfen und leichtem Fieber zu uns gekommen. Es gibt individualmedizinisch, d. h. bei der Beratung dieser Sportler, keinen Grund, das völlig anders zu sehen. Dass aktuell während der akuten Infektion noch Vorkehrungen getroffen werden müssen, um andere Personen nicht anzustecken, steht auf einem anderen Blatt.

Welche Empfehlung geben Sie Sportlern für den Wiedereinstieg ins Training nach einer Covid-Erkrankung?

Prof. Dr. Meyer: Erst einmal würde ich zu Vernunft und Augenmaß raten. Es bringt wenig, einen Tag gewinnen zu wollen und daher zu früh ins Training einzusteigen. Das bezahlt man oft bitter mit einem späteren weiteren Trainingsausfall. Ich würde dazu raten, mit dieser Corona-Infektion so ähnlich umzugehen wie mit einer normalen Grippe. Man nimmt danach auch nicht wieder sofort mit 100 Prozent das Training auf, sondern baut über ein paar Tage langsam auf. Das Gleiche gilt ganz grundsätzlich auch für den Berufssportler, Beschwerdefreiheit muss Voraussetzung für einen neuen Trainingsstart sein. Trainingsaktivitäten mit einer Restsymptomatik, z. B. leicht erhöhter Temperatur, das geht gar nicht.