Grundsatzentscheidung: Ehrenamtliche Tätigkeit in der Sozialversicherung grundsätzlich beitragsfrei

Um einen Minijobber bei der Minijob-Zentrale anmelden zu können, muss der Arbeitgeber vor Beginn der Beschäftigung einige Dinge klären.

1 Worum geht es?

Das Thema Vergütung der Vereins- und Verbandstätigkeit, insbesondere der des Vorstands, spielt in der Rechtspraxis eine wichtige Rolle und berührt mehrere Fragen, u.a. auch das Problem der Versicherungspflicht in der Sozialbeschäftigung. In der jüngsten Vergangenheit gab es zu dieser Frage mehrere divergierende Urteile der Sozialgerichte und die Praxis des Betriebsprüfungsdienstes der DRV warf weitere Fragen auf, was zu einer erheblichen Verunsicherung in der Praxis führte.

Nunmehr hat das Bundessozialgericht (BSG) eine wichtige Grundsatzentscheidung getroffen und gleichzeitig Klarstellungen durch den Gesetzgeber gefordert.

 

2 Leitsatz

In seinem o.a. Grundsatzurteil hat das BSG zur versicherungsrechtlichen Beurteilung eines Ehrenamtsinhabers Stellung genommen und Grundsätze definiert.

 

Merke!

Das BSG hat seine Rechtsprechung zu Ehrenamtsinhabern fortgeführt und festgestellt, dass es bei ehrenamtlichen Tätigkeiten an einem Gegenseitig-keitsverhältnis – wie beispielsweise beim Arbeitsverhältnis mit einem Arbeitsvertrag – fehlt.

  • Die gewährte Aufwandsentschädigung ist daher grundsätzlich nicht Arbeitsentgelt im Sinne der Sozialversicherung.
  • Damit fehlt es an der Entgeltlichkeit einer Beschäftigung als einer der Voraussetzungen für Sozialversicherungspflicht.
  • Ehrenämter sind nach dem BSG in der gesetzlichen Sozialversicherung grundsätzlich auch dann beitragsfrei, wenn hierfür eine angemessene pauschale Aufwandsentschädigung gewährt wird und neben Repräsentationspflichten auch Verwaltungsaufgaben wahrgenommen werden, die unmittelbar mit dem Ehrenamt verbunden sind.

 

3 Der Fall

Es ging um einen Fall aus der Betriebsprüfung. Ein Rentenversicherungsträger hatte im Rahmen einer Prüfung bei einer Kreishandwerkerschaft in Schleswig-Holstein festgestellt, dass der Kreishandwerkermeister als ehrenamtlicher Vorsitzender der Kreishandwerkerschaft in einem Beschäftigungsverhältnis steht. Tragendes Argument war die Tatsache, dass der Kreishandwerkermeister Verwaltungstätigkeiten ausübte.

 

Merke!

Dies war vom BSG zuletzt im Jahr 2006 (Urteil vom 25. Januar 2006 – B 12 KR 12/05 R) als entscheidendes Kriterium für eine abhängige Beschäftigung angesehen worden.

Der Bescheid des Rentenversicherungsträgers aus dem Jahr 2011 war zunächst bestandskräftig geworden. Nach Bestandskraft hatte die Kreishandwerkerschaft einen Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X gestellt, der vom Rentenversicherungsträger – ebenfalls im Jahr 2011 – abgelehnt wurde.

Die Kreishandwerkerschaft hatte für die laufenden Geschäfte eine Geschäftsstelle mit Angestellten unterhalten und beschäftigt einen hauptamtlichen Geschäftsführer. Präsident ist ein Kreishandwerksmeister, der seine Aufgabe – neben seiner Tätigkeit als selbstständiger Elektromeister - ehrenamtlich wahrnimmt.

Im Nachgang zu einer Betriebsprüfung nahm die beklagte deutsche Rentenversicherung Bund an, dass der Kreishandwerksmeister geringfügig beschäftigt sei und forderte pauschale Arbeitgeberbeiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung in Höhe von rund 2.600 Euro nach.

 

4 Gang des Verfahrens

Auf die Klage der Kreishandwerkerschaft hatte das SG Schleswig den Bescheid des Rentenversicherungsträgers aus dem Jahr 2011 aufgehoben.

Das LSG Schleswig-Holstein bestätigte allerdings die Rechtsauffassung des Rentenversicherungsträgers (Urteil vom 25.06.2015, Az. L 5 125/13) und hatte entschieden, dass die Vergütung eines Präsidenten einer Kreishandwerkerschaft sozialversicherungspflichtig ist.

Diese Entscheidung hat das Bundessozialgericht nunmehr aufgehoben.

 

5 Die Entscheidung

Das BSG-Verfahren hatte großes Interesse bei Institutionen und Verbänden hervorgerufen, die Verbindungen zum Ehrenamt haben.

Das BSG hat der Kreishandwerkerschaft in letzter Instanz Recht gegeben. Nach Auffassung des BSG zeichnen sich Ehrenämter durch die Verfolgung eines ideellen, gemeinnützigen Zwecks aus und unterscheiden sich damit grundlegend von beitragspflichtigen, erwerbsorientierten Beschäftigungsverhältnissen.

(1) Bisherige Rechtsauffassung des BSG

In den bisherigen Entscheidungen zu Ehrenamtsinhabern hatte das BSG insbesondere klargestellt, dass die Ausübung von Verwaltungstätigkeiten die Ehrenamtstätigkeit dann prägt, wenn die Wahrnehmung solcher Aufgaben verpflichtend ist.

Die Frage der „Prägung“ bestimmte sich dabei nicht nach dem zeitlichen Aufwand der jeweiligen Aufgabeninhalte. Da es in der Eigenart eines Ehrenamtes liege, dass keine bestimmten zeitlichen Vorgaben bestehen und auch keine Vorgaben dazu, mit welcher Intensität und mit welchen Schwerpunkten welche Aufgaben wahrgenommen werden, sei – so das BSG – der tatsächliche Zeitaufwand kein taugliches Abgrenzungskriterium.

Ob die Verwaltungsaufgaben „in nicht unerheblichen Umfange“ wahrgenommen werden, bestimme sich somit danach, ob diese für die betreffende Organisation, für die das Ehrenamt ausgeübt wird, „erheblich“ sind (oder eben nicht) und nicht nach dem zeitlichen Überwiegen ihres Anteils gegenüber den anderen Aufgaben, zum Beispiel denen zur Repräsentation dieser Organisation.

Auch die Gewährung einer pauschalen Aufwandsentschädigung ändert daran nichts, selbst dann, wenn sie nicht auf Heller und Pfennig genau entsprechend dem tatsächlichen Aufwand folgt. Auch die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben sei unschädlich, soweit sie unmittelbar mit dem Ehrenamt verbunden seien, wie z. B. die Einberufung und Leitung von Gremiensitzungen.

(2) Geänderte Rechtsauffassung des BSG

Von dieser Argumentation ist das BSG nunmehr abgerückt.

Die Gewährung der Aufwandsentschädigung war im entschiedenen Fall nicht durch einen Arbeitsvertrag geregelt, sondern Ausdruck organschaftlicher Pflichten, die in der Satzung festgelegt waren.

Es fehlte an einem klassischen Gegenseitigkeitsverhältnis, wie es in einem Arbeitsvertrag der Fall ist.

Die Tätigkeit des Kreishandwerkermeisters diente auch nicht irgendeiner Erwerbsabsicht. Auf die Frage, ob die Tätigkeit rein repräsentativer Natur war oder ob Verwaltungstätigkeiten ausgeübt wurden oder in der Satzung genannt waren (bisher das tragende Argument der Rechtsprechung), ist der Senat zumindest in der mündlichen Verhandlung nicht eingegangen.

In der mündlichen Urteilsbegründung wurde ausgeführt, dass dort, wo der Aufwand für ein Ehrenamt angemessen entschädigt werde, kein Raum für eine Erwerbstätigkeit sei. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Entschädigung nach tatsächlich nachgewiesenen Aufwänden oder pauschal gewährt wurde.

Es müsse jedoch sichergestellt werden, dass in einer Aufwandsentschädigung nicht Arbeitsverdienst verschleiert gezahlt werde.

Das Bundessozialgericht führte in seiner Entscheidung aus, dass zur Stärkung des Ehrenamtes eine gesetzliche Klarstellung wünschenswert sei.

 

6 Praxishinweis

Die schriftlichen Urteilsgründe lagen bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Ohne den schriftlichen Urteilsgründen vorgreifen zu wollen: Es wird sicher künftig in der Betriebsprüfung nicht leichter werden, das Ehrenamt von der Beschäftigung abzugrenzen, insbesondere die Angemessenheit einer Aufwandsentschädigung zu beurteilen.

Andererseits dürften Fälle, in denen der Aufwand für die ehrenamtliche Tätigkeit im Rahmen organschaftlicher Pflichten ohne Zweifel angemessen entschädigt wird, nicht mehr zur Diskussion stehen.

 

7 Ausblick

In der Pressemitteilung Nr. 38 v. 16.8.2017 hat das Bundessozialgericht zu seiner o.a. Entscheidung darauf hingewiesen, dass „zur Stärkung des Ehrenamtes eine gesetzliche Klarstellung (gemeint: zugunsten des Ehrenamtes) wünschenswert ist“.

Dies betrifft auch die Parallele in § 22 Abs. 3 MiLoG, da es beim Mindestlohn – gerade im ehrenamtlichen Bereich – immer noch viele ungeklärte Rechtsfragen gibt.

 

FUNDSTELLE / QUELLE /// Bundessozialgericht, Urteil vom 16.08.2017, Az.: B 12 KR 14/16 R

Quelle: Führungs-Akademie des DOSB; Rechtstelegramm für die Vereins- und Verbandsarbeit, Nr. 29 [September 2017, S. 13]

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